• Drei Männer und drei Frauen haben über acht Tage eine Weltraum-Mission simuliert: Enge, kaum Kontakt zur Außenwelt und ein strenger Zeitplan.
  • Die Erkenntnisse zu den psychischen und physischen Auswirkungen fließen in die 100-Tage-Isolationsstudie im kommenden Jahr ein, die ebenfalls vom DLR am :envihab durchgeführt wird.
  • Die Teilnehmenden müssen ähnliche Kriterien erfüllen wie Astronautinnen und Astronauten.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Exploration, Raumfahrtmedizin

Welche Auswirkungen haben Langzeit-Missionen auf Astronautinnen und Astronauten? Wie kommen sie mit der Enge zurecht, mit der Abgeschiedenheit oder mit dem Gefühl, ganz auf sich selbst gestellt zu sein? Diese und viele weitere Fragen soll im kommenden Jahr die Studie SOLIS100 beantworten, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchführen wird. Die Studie unter der Leitung der Europäischen Weltraumorganisation ESA dauert 100 Tage. Die Isolationsstudie SOLIS8, die die Studie SOLIS100 vorbereitet, ist jetzt abgeschlossen.

Drei Männer und drei Frauen haben acht Tage im :envihab in einem abgeschlossenen Bereich verbracht. Das Zentrum des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln verfügt über ein spezielles Modul. Es ist ideal für Langzeitstudien in einer künstlich kontrollierten und isolierten Umgebung. Wie in einer Raumstation findet sich hier auf kleinem Raum alles, was zum Leben sowie für wissenschaftliche Experimente benötigt wird. In diesem Modul wird das DLR auch die ESA-Studie SOLIS100 durchführen. Mit der Pilotstudie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun die Ausstattung sowie Verfahren und Abläufe für die Studie getestet.

Nickerchen verboten, tägliches Training verpflichtend

Die sechs Teilnehmenden haben auf Tageslicht und Kontakt zur Außenwelt weitgehend verzichtet. Sie haben ihre Mahlzeiten aus vorbereiteten und gelagerten Lebensmitteln zubereitet, in speziellen Kapseln geschlafen und sich bei allen Aktivitäten an einen strengen Plan gehalten. Für Schlaf, Mahlzeiten und Freizeitaktivitäten galten bestimmte Zeitfenster. Nickerchen während der Wachzeit waren zum Beispiel nicht erlaubt, außer an den 1,5 „arbeitsfreien Tagen“. Die Regeln für persönliche Gegenstände orientierten sich an den Regeln für die Internationale Raumstation ISS: Sie dürfen ein Gewicht von 1,5 Kilogramm nicht überschreiten und müssen in eine Box mit den Maßen von 12,7 x 20,32 x 5,08 Zentimeter passen. Außerdem: Duschzeiten zweimal fünf Minuten pro Woche, abgezählte Kleidung und Wäsche, begrenzte Lebensmittel. Tägliches Fitnesstraining stand wie bei Astronautinnen und Astronauten auf dem Programm: Es soll den negativen Auswirkungen auf Muskeln, Knochen und das Herz-Kreislauf-System entgegenwirken.

Das Projektteam des DLR hat die Teilnehmenden rund um die Uhr überwacht, um die Sicherheit zu gewährleisten – aber auch, um das Verhalten der Besatzungsmitglieder zu beobachten und Daten zu erheben. Damit der Kontakt so gering wie möglich bleibt, wurden zum Beispiel Blutproben entnommen, indem die Crewmitglieder ihren Arm durch eine Vorrichtung an der Tür gehalten haben. Blickkontakt gab es dabei nicht. In kurzen Audio-Briefings wurden Aufgaben und Routinen besprochen. Für Notfälle hätte – anders als bei einem realen Weltraum-Aufenthalt – aber jederzeit eine medizinische oder psychologische Hilfe bereitgestanden.

Warum überhaupt Isolationsstudien?

Die Erforschung des Weltraums durch den Menschen soll künftig weit über die ISS hinausgehen. Es gibt Pläne für Missionen zu Mond und Mars oder die Errichtung einer Mondbasis. „Diese Missionen werden neue psychologische und physische Herausforderungen mit sich bringen. Die Reisezeiten verlängern sich und die Besatzung benötigt in isolierten und begrenzten Umgebungen mehr Autonomie. Um diese Herausforderungen zu kennen und zu meistern, sind hochwertige Studien unerlässlich“, sagt Professor Jens Jordan, Leiter des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin.

Isolationsstudien werden seit langem als Analoga für Weltraummissionen verwendet. Sie erforschen, wie sich die Bedingungen auf die Gesundheit, das Verhalten und die Leistung von Crewmitgliedern auswirken. „Die derzeitige Datenlage ist jedoch begrenzt. Deswegen sind weitere Forschungen unter kontrollierten Bedingungen erforderlich, damit wir die psychologischen und physiologischen Auswirkungen besser verstehen. Diese Forschung wird dazu beitragen, Risiken vorherzusagen, die Auswahl und das Training der Besatzung zu verbessern und Strategien zu entwickeln, um die Leistungsfähigkeit und Gesundheit bei Langzeit-Missionen zu erhalten“, ergänzt Dr. Sarah Piechowski-Worms, wissenschaftliche Leiterin der SOLIS8-Studie. Die Erkenntnisse aus SOLIS8 werden in den kommenden Wochen ausgewertet.

„Die ESA-Isolationsstudien beantworten dringende Fragen für zukünftige Raumfahrtmissionen und bieten europäischen Wissenschaftsteams die Möglichkeit, ihre eigenen Forschungsfragen zu adressieren. Diese Studien helfen, die psychologischen und physiologischen Auswirkungen von Langzeit-Missionen besser zu verstehen. Zudem tragen sie zur Verbesserung der Auswahl und des Trainings zukünftiger Astronautinnen und Astronauten bei“, sagt Ann-Kathrin Vlacil, Teamleiterin für das Wissenschaftsprogramm der ESA zur astronautischen Raumfahrt.

Aufwändiges Auswahlverfahren

Das DLR-Studienteam hat die SOLIS8-Teilnehmenden in einem mehrstufigen Verfahren ausgewählt. Dieses Verfahren wird für SOLIS100 erweitert. Wegen der längeren Isolation wird es zusätzliche Anforderungen enthalten. Die SOLIS100-Studie dauert rund vier Monate, mit 100 Tagen in Isolation. Auf Fragebögen und persönliche Interviews folgen eine medizinische Untersuchung und ein psychologisches Screening, sowohl einzeln als auch in der Gruppe. Anschließend werden die SOLIS100-Crew sowie die Ersatz-Crewmitglieder festgelegt. Die Auswahl beginnt demnächst.

Bewerberinnen und Bewerber müssen viele Kriterien erfüllen, die auch für Astronautinnen und Astronauten gelten. Sie müssen unter anderem zwischen 30 und 55 Jahren alt und gesund sein, einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 18,5 und 30 haben sowie auf einem Niveau von mindestens B2 Englisch sprechen und verstehen. Außerdem sollten sie einen Hochschul-Abschluss haben. Die Webseite dlr-probandensuche.de zählt weitere Kriterien auf und erklärt das Verfahren, sobald eine Bewerbung möglich ist.

Weiterführende Links

Die luft- und raumfahrtmedizinische Forschungsanlage :envihab in Köln

Was geschieht mit dem menschlichen Körper auf einem Flug zum Mars? Wie reagiert der Körper eines Patienten, der längere Zeit das Bett hüten muss? Wie wirkt sich die Beleuchtung auf unsere Stimmung aus? Gibt es Maßnahmen gegen die daraus resultierenden negativen Folgen? Auf diese wichtigen Fragen müssen wir für uns auf der Erde eine Antwort finden, um etwa die Auswirkungen von Alterung, Bettlägerigkeit, Immobilisation und Isolation besser verstehen zu können.

Das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin ist ein in diesem Bereich weltweit führendes Forschungsinstitut. In :envihab („environment“ = Umwelt und „habitat“ = Lebensraum), eine einzigartige, hoch technologische medizinische Forschungseinrichtung, kann das Institut seine zukunftsweisende Forschung zum Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen umsetzen. Hier können auf 3.500 Quadratmetern die Wirkungen extremer Umweltbedingungen auf den Menschen und mögliche Gegenmaßnahmen erforscht werden.

Das Modul M5, in dem die SOLIS8-Studie stattfand und die SOLIS100-Studie durchgeführt werden wird, wurde speziell für Langzeitstudien am Menschen in einer künstlich kontrollierten, isolierten und begrenzten Umgebung entwickelt. Das Modul kann von bis zu sechs Besatzungsmitgliedern bewohnt werden, um eine Weltraummission zu simulieren. Es gibt eine Monitoring-Technik, separate Räume für Lagerung, Nahrungszubereitung, medizinische Behandlung und vertrauliche Kommunikation sowie sanitäre Einrichtungen. Der Hauptraum umfasst private Mannschaftsquartiere und Gemeinschaftsräume. So bietet die Anlage eine Plattform, um neuartige wissenschaftliche Fragestellungen zu erforschen und komplexe Studien unter höchst realistischen Bedingungen präzise durchzuführen. Damit schafft das :envihab nicht nur beste Voraussetzungen für aktuelle Forschung, sondern auch für zukünftige innovative Projekte in der Raumfahrtmedizin.

In der SOLIS8-Studie wurden erstmals Fitnessuhren für die Gesundheitsüberwachung eingesetzt. Dazu arbeitet das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin mit den Unternehmen adesso SE und Samsung Deutschland zusammen. Die Gesundheitswerte werden lokal erfasst, verschlüsselt und ohne Cloud-Anbindung verarbeitet, um den Datenschutz zu gewährleisten und eine kontinuierliche, ganzheitliche Überwachung von Vitalparametern bei Teilnehmenden in isolierten Umgebungen zu ermöglichen.

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