Astronautinnen und Astronauten, die auf die Erde zurückkehren, werden direkt nach der Landung umsorgt: Ein ganzes Team assistiert beim Aussteigen aus der Raumkapsel, richtet auf, stützt, führt erste Untersuchungen durch. Was aber, wenn die Landung nicht auf der Erde, sondern auf dem Mond oder dem Mars stattfindet? Dort hilft erst einmal niemand. Die Raumfahrenden sind auf sich alleine gestellt – mit all den Folgen, die ein längerer Aufenthalt in Schwerelosigkeit mit sich bringt: Schwindel, Stolpern, Koordinationsstörungen. Das kann eine Mission gefährden. Damit das nicht passiert, erforscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mögliche Gegenmaßnahmen in einer Bettruhestudie. Wer ab September 2024 mitmachen möchte, kann sich noch bewerben.

Hinlegen, um die Raumfahrt voranzubringen? „Die Teilnehmenden liegen nicht nur 60 Tage im Bett. Das Bett ist außerdem zum Kopf hin um sechs Grad geneigt. Das heißt, der Kopf liegt niedriger als die Füße“, erklärt Dr. Edwin Mulder, Studienleiter am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. „Bei dieser Neigung verschieben sich die Flüssigkeiten im Körper fast genauso wie bei Astronautinnen und Astronauten im Weltall.“ Ohne die Erdanziehungskraft fließt mehr Flüssigkeit in die obere Körperhälfte und weniger in die Beine. Der Druck im Kopf steigt, durch die körperliche Inaktivität bauen Muskeln und Knochen ab, der Gleichgewichtssinn ist verwirrt und das Herz-Kreislauf-System verändert sich – und das sind nur einige Folgen von Aufenthalten in der Schwerelosigkeit, die sich auch in Bettruhestudien zeigen. In der aktuellen SMC-Studie (Sensorimotor Countermeasures Study), die wieder in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA durchgeführt wird, geht es vor allem um sensomotorische Beeinträchtigungen nach Aufenthalten im Weltraum und mögliche Gegenmaßnahmen.

Ein Bein heben, um ein Hindernis zu überwinden: Das kann für Raumfahrende eine Herausforderung sein

Das Zusammenspiel von Sinneswahrnehmungen – wie Hören, Sehen oder Fühlen – und motorischen Reaktionen – wie Gehen, Greifen oder Werfen – kann nach Weltraumreisen gestört sein. „Das wirkt sich bei ganz alltäglichen Dingen aus. Etwa, wenn jemand einen Stein sieht und ein Bein heben muss, um ihn zu überwinden“, sagt Andrea Nitsche vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Sie wählt zwölf Probandinnen und Probanden aus, die sich inklusive Vor- und Nachbereitung für genau 88 Tage in der Kölner Forschungsanlage :envihab aufhalten, damit zukünftige Raumfahrende sicher und koordiniert arbeiten können.

Die erste Studienkampagne im :envihab startet im September 2024, eine zweite im April 2025. Bewerben können sich jeweils Personen zwischen 24 und 55 Jahren, die eine Körpergröße von 1,53 bis 1,90 Meter und einen BMI von 18 bis 30 haben. Sie müssen außerdem gesund sein, Nichtraucher und gut Deutsch sprechen. Für die vollständige Teilnahme gibt es eine Aufwandsentschädigung von 18.000 Euro. Von den 88 Tagen werden 60 im Bett in Kopftieflage verbracht. Drei Monate nach Abschluss der Kampagne finden verpflichtende Nachuntersuchungen statt. Das Auswahlverfahren ist mehrstufig: Über die Webseite dlr-probandensuche.de füllen die Interessierten zuerst einen Fragebogen aus. Es folgen die Teilnahme an einer Online-Informationsveranstaltung, psychologische Fragebögen, Telefoninterviews, medizinische Voruntersuchungen in Köln, ein Bewertungstag und schließlich die Studie.

Die Teilnehmenden trainieren zum Beispiel Eigenwahrnehmung, Kraft und Ausdauer

Während der Kampagne wird die Wirksamkeit verschiedener Gegenmaßnahmen getestet. Die Teilnehmenden bilden vier Gruppen. Eine Gruppe absolviert ein sogenanntes propriozeptives Training in einem „Gravity Bed“, um das Gefühl für Lage, Körperhaltung und Bewegungen aufrechtzuerhalten. Das „Gravity Bed“ ist ein speziell angefertigter Simulator, in dem die Teilnehmenden auf einer Art Luftkissen im Liegen „schweben“. Die Füße werden über Gurte auf ein Kippbrett gepresst, so dass die Teilnehmenden den Eindruck haben zu stehen. Sie müssen sich in dieser Position auch bewegen und schulen so unter anderem ihren Gleichgewichtssinn. Die zweite Gruppe macht zusätzlich ein Kraft- und Ausdauertraining. Die dritte Gruppe erhält eine Muskelstimulation durch elektrische Impulse (EMS). Die vierte Gruppe liegt im Bett und beteiligt sich nicht an einer Gegenmaßnahme. „Diese Kontrollgruppe ist wissenschaftlich sehr wichtig, denn sie zeigt uns, was passiert, wenn man jede Art von Training weglässt. Die Ergebnisse der anderen Gruppen werden am Ende mit dieser Gruppe verglichen“, sagt Edwin Mulder.

Die Zuordnung erfolgt zufällig. Für alle gilt, dass tägliche medizinische Untersuchungen und Experimente auf dem Programm stehen und dass wirklich jede Tätigkeit im Liegen erledigt wird: Körperhygiene, Toilettengang, mögliche Freizeitaktivitäten, Essen. Die Probandinnen und Probanden bekommen frisch zubereitete, ausgewogene Mahlzeiten, die für ihren individuellen Bedarf auf Gramm und Milliliter berechnet sind. Die Teilnehmenden dürfen das :envihab während der 88 Tage nicht verlassen. Sie können sich aber im Bett von ihren Einzelzimmern in einen Gemeinschaftsraum schieben lassen für gemeinsame Aktivitäten wie Brettspiele oder Fernsehen. Die 88 Tage beinhalten eine zweiwöchige Rehabilitation nach der Bettphase. Mit Unterstützung von Physiotherapeuten und Trainern bilden sich alle körperlichen Auswirkungen der Bettruhe wieder zurück.

„Das DLR führt schon seit den 1980er Jahren Bettruhestudien durch. Wir wissen, dass das Mitmachen keine Kleinigkeit ist, sondern eine echte Herausforderung“, sagt Edwin Mulder. „Unsere Teilnehmenden, die wir terrestrische Astronautinnen und Astronauten nennen, wachsen in den drei Monaten zu einer Gemeinschaft zusammen. Und die meisten empfinden es als etwas Besonderes, an einer Studie teilzunehmen, die wichtig für den Erfolg von zukünftigen Raumfahrtmissionen ist.“

Quelle: DLR