Weltraumstrahlung birgt Gesundheitsrisiken für den menschlichen Körper bei astronautischen Langzeitmissionen. Sie kann Krebs und degenerative Erkrankungen verschiedener Organe verursachen. Um Astronautinnen und Astronauten bei zukünftig immer längeren Weltraumaufenthalten bestmöglich zu schützen, gilt es, geeignete Schutzmaßnahmen zu finden. Dafür sind detaillierte Messdaten über die Strahlungsbelastung beim Raumflug außerhalb des Erdmagnetfelds nötig. Ende 2022 starteten mit dem NASA-Raumschiff Orion die beiden Messpuppen Helga und Zohar im Rahmen des vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geleiteten Projekts MARE. Bei der Artemis-I-Mission flogen sie auf einer über 25-tägigen Reise zum Mond und wieder zurück. Dabei wurden zum ersten Mal kontinuierlich Messdaten zu den Strahlungswerten zwischen der Erde und ihrem fast eine halbe Million Kilometer entfernten Trabanten gewonnen. Im wissenschaftlichen Fachmagazin NATURE veröffentlichte das Forschungsteam von DLR, ESA und NASA nun erste Ergebnisse.
Dr. Thomas Berger, Strahlenphysiker vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln und Leiter des Experiments MARE erklärt: „Für uns gab es zwei Hauptziele bei der Artemis-I-Mission: Wir wollten erstmals einen umfassenden und zusammenhängenden Datensatz zu den Strahlungsverhältnissen bei einem Mondflug erheben, wozu aktuell noch die Auswertungen laufen. Und gemeinsam mit NASA und ESA ging es uns darum, die Strahlungsunterschiede innerhalb des Orion-Raumschiffes zu charakterisieren, wozu nun die Ergebnisse vorliegen. Im Vorfeld hatten wir dafür eine sehr große Anzahl von Strahlungsdetektoren, sogenannte Dosimeter, an verschiedenen festen Positionen innerhalb des Raumschiffs sowie in unseren beiden lebensgroßen MARE-Messphantomen Helga und Zohar platziert.“ Das Experiment MARE ist ein gemeinsames Projekt des DLR, der israelischen Firma StemRad, NASA, Lockheed Martin und der israelischen Weltraumagentur ISA.
Deutliche Strahlungsunterschiede innerhalb des Orion-Raumschiffs
Die nun in NATURE veröffentlichten Messergebnisse zeigen: Während des Durchflugs durch den Protonengürtel der Erde, den sogenannten inneren Van Allen Gürtel, unterschied sich die Strahlungsdosis innerhalb des Raumschiffs je nach Ort des Detektors sehr deutlich: Die Dosisraten zwischen den am besten und am wenigsten geschützten Bereichen innerhalb der Raumkapsel unterschieden sich um das Vierfache. Diese enormen Unterschiede bestätigen das Design und Abschirmungskonzept der Raumkapsel. Im stärker abgeschirmten Bereich der Kapsel (Storm Shelter) kann die auf die Besatzung wirkende Gesamtdosis bei großen solaren Teilchenereignissen auf maximal 150 Millisievert beschränkt werden. Bei dieser Dosis sind keine Symptome einer akuten Strahlenkrankheit zu erwarten.
Eignung der Orion-Kapsel für astronautische Raumflüge
Die Daten zeigen zudem, dass die Ausrichtung des Raumschiffs während des Protonengürteldurchflugs eine signifikante Auswirkung auf die Strahlungswerte innerhalb der Kapsel hatte: Zum Ende des Durchflugs durch den inneren Protonengürtel führte Orion eine 90-Grad-Drehung durch, die zu einer unerwartet starken Reduzierung der Strahlungsdosis um 50 Prozent führte. „Dies zeigt uns, dass sich mit diesem Flugmanöver, die Strahlenbelastung für die Besatzung im Inneren des Raumschiffs deutlich reduzieren lässt. Auch das ist ein gutes Zeichen und bestätigt die grundsätzliche Eignung der Orion für zukünftige Raumflüge mit Astronautinnen und Astronauten. Und unsere Messdaten sind eine wertvolle Informationsgrundlage für die Gestaltung zukünftiger Missionen“, verdeutlicht DLR-Strahlenphysiker Berger.
Nicht zuletzt zeigt die nun veröffentlichte Studie, dass die moderne Computersimulation von Strahlungsumgebungen verbessert wurde, da die experimentellen Messdaten weitgehend mit den vorhergesagten Modellrechnungen übereinstimmen. Auch diese sind ein wichtiger Faktor für eine zeit- und kosteneffiziente Weiterentwicklung des Orion-Konzepts.
Insgesamt stellt das Wissenschaftsteam in der NATURE-Veröffentlichung fest, dass die Strahlenexposition für zukünftige Artemis-Missionen, die ja nur einige Tage bis Wochen dauern werden wahrscheinlich nicht die aktuellen NASA-Grenzwerte für Astronautinnen und Astronauten überschreiten, vorausgesetzt, dass ähnliche Missionsbedingungen eingehalten werden. Das Strahlungsrisiko bleibt jedoch eine der zentralen Herausforderung für die astronautische Weltraumfahrt.
Gemeinsam mit NASA und ESA: Strahlungsmessungen für den effektiven Schutz künftiger ORION-Besatzungen
Artemis I war die erste in einer Reihe von Missionen des Artemis-Programms der NASA. Es sieht vor, nach mehr als 50 Jahren wieder Menschen auf unserem Trabanten zu landen, dort gemeinsam mit internationalen Partnern eine dauerhafte Basis zu errichten und eine Raumstation in der Mondumlaufbahn zu bauen, von der aus Menschen zu weiter entfernten Zielen, einschließlich des Mars, aufbrechen sollen. Am 16. November 2022 startete die NASA-Mission Artemis I zur Umrundung des Erdmonds vom Kennedy Space Center in Florida. Bei dieser noch unbemannten Mission wurden alle neu entwickelten Systeme im Zusammenspiel getestet – das Orion-Raumschiff, das Europäische Servicemodul (ESM), die Schwerlastrakete SLS (Space Launch System) und die Bodensysteme.
Die NASA stattete das Raumschiff Orion mit ihrem Strahlungsmessgerät und Warnsystem „Hybrid Electronic Radiation Assessor“, kurz HERA, aus. HERA besteht aus drei Strahlungssensoren, die in unterschiedlich gut gegen Strahlung abgeschirmten Bereichen von Orion eingebaut wurden. Es ist so konzipiert, dass es einen Alarm auslöst, wenn die Besatzung bei einem energiereichen Strahlungsereignis, zum Beispiel einer Sonneneruption, Schutz suchen soll. In diesem Fall würde sich die Crew in einen besser gegen die Strahlung abgeschirmten Teil von Orion begeben, und zwar würden sie die Bodenklappen öffnen und dann Abschirmmaterial als zusätzlichen Schutz über Ihren Köpfen installieren.
Die ESA stellte zudem fünf mobile Dosimeter – die EAD-MUs (ESA Active Dosimeter – Mobile Units) – an verschiedenen Stellen der Raumkapsel zur Messung der Strahlung bereit. Ein Vorläufersystem der Mobile Units kam schon von 2016 – 2017 auf der Internationalen Raumstation ISS zum Einsatz. Die Mond-Umrundung der Artemis-I-Mission ermöglichte es, die Strahlungsumgebung im tiefen Weltraum so vollständig wie möglich abzubilden. Die neuen Werte werden nun mit den ISS-Messungen verglichen – und so die Sicherheit der nachfolgenden Artemis-Missionen mit Besatzung bewertet. Später soll eine weiter entwickelte Version des EAD-MU-Systems an Bord des sogenannten Lunar Gateway – einer geplanten Raumstation in der Mondumlaufbahn – zum Einsatz kommen.
Die in der Orion-Kapsel verteilten Dosimeter der ESA wurden vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln gemeinsam mit ASRO, Finnland, konzipiert, getestet und gebaut. Die aktiven DLR-Messgeräte M-42 und passiven Sensoren in Helga und Zohar wurden vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln entwickelt und angefertigt.
„Die Detektoren messen unterschiedliche Strahlungsarten, sodass wir mit den Werten Rückschlüsse auf ihre biologischen Auswirkungen ziehen können.“, sagt Thomas Berger. Die beiden Messphantome im MARE-Projekt wurden dazu eigens der weiblichen Anatomie nachempfunden, um die besonderen Belastungen für Frauen bei Langzeitaufenthalten im Weltraum zu untersuchen.
Die jetzige Veröffentlichung von Ergebnissen in NATURE ist die erste einer ganzen Reihe. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von DLR, NASA und ESA analysieren den reichhaltigen Datenschatz an Strahlungsmesswerten des Orionflugs noch weiter. Momentan arbeiten Dr. Thomas Berger und sein Team des DLR-Projekts MARE am Vergleich der Strahlungsbelastung von Helga, die Messpuppe, die ohne Schutz flog, und Zohar, die bei der Mondumrundung die Strahlenschutzweste AstroRad trug.
Quelle: DLR