Die Corona-Pandemie, der Klimaschutz und die Digitalisierung stellen die Luft- und Raumfahrtindustrie vor immense Herausforderungen. Gleichzeitig ergibt sich daraus ein großes Innovationspotenzial für eine Branche, die traditionell eine Pionierrolle für Innovationen und bei der Gestaltung des technischen Wandels einnimmt. Mehr als 350 Unternehmen, zahlreiche Forschungseinrichtungen und nicht zuletzt die acht Flughäfen im Land verleihen der Luft- und Raumfahrt eine strategische Bedeutung für Nordrhein-Westfalen. Seit einigen Monaten bringt das Netzwerk AeroSpace.NRW Akteure der Branche zusammen und bündelt Aktivitäten zur Stärkung der Innovationskraft und Förderung des Luft-und Raumfahrtstandorts NRW.

Worin die Arbeit des Netzwerks liegt und mit welchen Entwicklungen sich die Branche zurzeit beschäftigt, hat uns Projektmanager Jan-Frederic Kulow in einem Interview erklärt.

Herr Kulow, was sind aktuell die drängendsten Herausforderungen der Luftfahrtindustrie?

Der Einbruch des Tourismus und die Verlangsamung der Handelsströme durch Corona haben die Branche schwer getroffen. Noch immer sind viele Flugzeuge am Boden. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Zulieferbetriebe, die für Nordrhein-Westfalen charakteristisch sind. Kein Flugzeug fliegt ohne Teile aus NRW und aktuell gibt es einfach weniger Bestellungen der Airlines.

Mittel- bis langfristig ist die Umstellung der Branche auf klimaneutrale Antriebe die wohl größte Herausforderung. Aber Ökonomie und Ökologie wurden in der Luftfahrt schon immer zusammen gedacht. Eine bessere Aerodynamik oder die Verwendung von Leichtbauteilen machen Flugzeuge effizienter und leiser, es wird weniger Treibstoff benötigt und zusammen ist das ist ein hoher ökonomischer Anreiz. Die Entwicklung alternativer Energieträger, entsprechender Antriebskonzepte und ressourcensparender Triebwerke ist ein entscheidendes Zukunftsfeld. Elektrische Antriebe für Flugtaxis im städtischen Raum oder Wasserstoff-Brennzellen für Mittel- und Langstrecken sind Technologien, die in Zukunft sehr wichtig werden können. Auch biobasierte Materialien können zu mehr Nachhaltigkeit in der Luftfahrt beitragen.
Ein anderer bedeutsamer Trend ist natürlich die Digitalisierung, in der die Luft- und Raumfahrt schon seit jeher ein Innovationsmotor ist. Im Zentrum stehen hier aktuell neue Mobilitätskonzepte, die die verschiedenen Transportträger intelligent vernetzen und eine flexible Nutzung erlauben. Ähnlich wie im Automotive-Bereich sind auch die autonome Steuerung von unbemannten Luftfahrtsystemen, umgangssprachlich oft als Drohnen bezeichnet, und die Nutzung Künstlicher Intelligenz ein großes Thema. All dies sind Themen, denen wir uns auch in unserem Netzwerk schwerpunktmäßig widmen.

Können Sie uns einige Trends aus der Raumfahrt nennen?

Die Raumfahrt ist traditionell staatlich getrieben, also durch Raumfahrtagenturen. Seit einigen Jahren prägt der Begriff New Space die Debatte, also die kommerzielle Nutzung des Weltraums durch Privatpersonen oder Unternehmen. Der Weltraumtourismus von Elon Musk oder Jeff Bezos ist das wohl bekannteste Beispiel, aber nur eins von vielen. Viele Start-ups sind hier in den letzten Jahren entstanden. Space Mining, also der Abbau von Rohstoffen auf Asteroiden ist zwar bisher nur ein theoretisches Konzept und Zukunftsmusik, wird aber ebenfalls diesem Feld zugerechnet.

Die Geschäftsmodelle, die sich durch New Space an der Schnittstelle von Raumfahrt und digitaler Wirtschaft eröffnen, erfordern völlig andere Konzepte. Gearbeitet wird z.B. an kleinen Mini-, Mikro- und Nanosatelliten, sog. CubeSats und speziellen Trägersystemen für die privatwirtschaftliche und kostengünstige Nutzung des Weltraums. Sie bilden die Grundlage für vielfältige Geschäftsmodelle, z.B. im Bereich der Erdbeobachtung und Geoinformationssystemen, für Breitbandverbindungen und das Internet der Dinge unter Nutzung von Big Data. Der Gebrauch von Geodaten ermöglicht bereits heute wichtige Beiträge zur Bewältigung dringender gesellschaftlicher Probleme, z.B. für die Optimierung von Bewässerung und Düngung in der Landwirtschaft, zur Bekämpfung von Waldbränden, zur intelligenten Steuerung von Verkehrsströmen oder in der Logistik. Die europäischen Programme Galileo und Copernicus sind hier von zentraler Bedeutung. Generell lässt sich eine zunehmende Konvergenz der Raumfahrt mit dem IT-Sektor feststellen.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie in Nordrhein-Westfalen ein?

Die Bedeutung für NRW ist bereits heute groß, der Standort hat aber auch noch weiteres Potenzial. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie die EASA haben ihren Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen und die Space-Allianz der Fraunhofer-Institute wird von Euskirchen aus koordiniert. Aber auch renommierte Hochschulen wie die RWTH Aachen oder die FH Aachen sind exzellent aufgestellt mit Schwerpunktthemen wie Aerodynamik, Antriebssysteme oder Leichtbau. Hinzu kommen im Bereich der Unternehmen die berühmtem Hidden Champions und bekannte Großunternehmen. Die Brennkammer der Ariane-Raketen kommt zum Beispiel aus dem Sauerland von der Otto Fuchs KG aus Meinerzhagen. Es gibt bereits zwei Drohnenairlines in NRW. Stark ist auch die Expertise von NRW-Unternehmen im Bereich Elektrotechnik für luftfahrttechnische Systeme. Zusätzlich ist Nordrhein-Westfalen eine der europäischen Hauptregionen für die Ausbildung von Pilotinnen und Piloten.

Wie sehen Sie die Rolle des Netzwerks und welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es?

Zentrales Ziel, des im März 2021 gestarteten Netzwerks, ist die Steigerung der Innovationskraft und der Wettbewerbsfähigkeit der NRW-Wirtschaft im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Wir sehen uns als Forum des Dialogs zur verstärkten Zusammenarbeit von Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Politik und Gesellschaft. Wir möchten Impulsgeber sein und bei der Initiierung von gemeinsamen Projekten, vor allem in den gerade skizzierten Zukunftsfeldern, unterstützen. Gleichzeitig fällt in unseren Aufgabenbereich die Vermarktung der Luft- und Raumfahrtregion Nordrhein-Westfalen nach außen, z.B. durch die Präsenz in entsprechenden nationalen und internationalen Vereinigungen oder Foren. In diesem Kontext freuen wir uns sehr, dass der 15. Tag der Luft- und Raumfahrtregionen am 29. September in Aachen stattfindet.

Herzlich eingeladen zur Mitarbeit in unserem NRW-Netzwerk sind Unternehmen, Forschungseinrichtungen aus den klassischen Technologiefeldern der Luft- und Raumfahrt, also z.B. Aerodynamik, Antriebssysteme, Leichtbau, Elektrotechnik, Optik, Sensorik, Photonik, IT- und Kommunikationstechnik, Robotik, Navigationstechnik, Messtechnik, Mechanik oder den Materialwissenschaften. Aber auch angrenzende Disziplinen oder Industrien mit Anwendungsbezug zur Luft- und Raumfahrt sind angesprochen, z.B. die Life Sciences, die Medizintechnik, die Automobilbranche, die Logistik oder viele andere.

Herr Kulow, vielen Dank für das Interview.

Luft- und Raumfahrt bei ZENIT

Das NRW.Europa-Team bei ZENIT ist als Partner des Enterprise Europe Network in die Sector Group Aeronautics, Space and Defence eingebunden. Sie bringt Expertinnen und Experten aus den wichtigsten europäischen Luft- und Raumfahrtregionen zusammen. Unterstützung leistet die Gruppe bei der Identifikation und Ansprache von Kunden und Kooperationspartnern für Produkte und Verfahren, der Vermarktung innovativer Technologien und dem Finden von technologischen Lösungen für die Produktentwicklung. Auch Informationen zu Programmen der EU, die Zusammenführung von Partnern für transnationale Forschungsprojekte und ein direkter Zugang zur Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) sind durch die Sector Group möglich. Zentrale Veranstaltungen in Deutschland sind B2B-Matchmaking-Events anlässlich der Internationalen Luft‑ und Raumfahrtausstellung Berlin (ILA) sowie der Space Tech Expo in Bremen. Die Veranstaltung in Bremen befindet sich aktuell in der Planung, Informationen werden zeitnah im NRW.Europa-Veranstaltungskalender veröffentlicht.

Quelle: ZENIT